Axolotl. Hat die Natur eigentlich jemals ein niedlicheres Amphibium erschaffen als das Axolotl?
Da ich schonmal ein Axolotl gesehen habe, dessen hintere Hälfte das Mittagessen einer Schildkröte geworden war, habe ich auch eine ungefähre Vorstellung davon, wie Axolotl Roadkill aussieht. Hauptsächlich ein kleiner Haufen zermanschter Organe. Niedlicher zermanschter Organe.
Womit mir schonmal klar ist, wieso der gleichnamige Roman (Niedlicher zermanschte Organe Axolotl Roadkill) so heisst. denn es entspricht ziemlich genau dem, was mit ihm passiert.
Aber nacheinander, in Phasen:
1. Axolotl

Süß, oder?
Also: Es kommt eine junge Autorin und schreibt ein Buch. Dieses Buch ist pseudointellektueller Müll genau das, was die Feuilletons gerne sehen, wenn sie sich nicht grade ein völlig bescheuertes Wort als Eigenbezeichnung ausdenken (ernsthaft, war „Literatur“ nicht gut genug?). Also etwas, was bei der breiten leserschaft kaum weitere beachtung verdient, denn seien wir mal ehrlich: Die meisten in den Feuille… auf den Literaturseiten gut besprochenen Werke sind irrelevanter, gekünstelter Kram, den eh nur Literaturstudenten lesen. Sie sind der Grund für den schlechten Ruf der Literatur in Deutschland.
Aber nunja: Das Buch wird also hochgefeiert, verkauft sich (im Normalfall ungelsen) in die Regale der Möchtegern-Gebildeten und bekommt ein-zwei bedeutend genannte Preise.
So läuft der Hochliteratur-Teil des Buchverlagswesens.
Dass die Autorin erst 17 ist und dennoch gestelzt gebildet und hochnasig angeberisch kryptisch-intellektuell zu schreiben vermag, verhilft ihr zu etwas mehr Hype als normalerweise. dennoch gilt: Niemand ausserhalb der Literaturseiten beachtet sie und wenn doch, dann eher negativ (siehe jene wenigen Kritiken auf amazon.de, die älter sind als der Kopier-Skandal).
2. Noch ein Axolotl

Doch zur Rettung eilt da auch schon der Skandal!
Das Axolotl Buch ist nämlich ein Klon Plagiat! Zack, schon hat man einen Skandal, der die Presse und Blogosphäre durchzieht, das Buch bekannt macht und es auf Platz 1 der Verkaufscharts katapultiert.
Und jeder deutschsprachige Blogger des Planeten, mich offensichtlich eingeschlossen, macht den Scheiss mit.
Ja, so funktioniert Marketing – mit Skandalen macht man Kohle.
Das Buch wird ein Hit, die Autorin reich und die Zeitungen können plötzlich die Rolle wechseln und opportunistisch die Kopiererei verteidigen, die sie sonst so verurteilen, sobald es um ihre eigenen Texte geht. Was aber ehrlicher ist in einer Zeit, in der Tageszeitungen zu 95% aus abgeschriebenen Agenturmeldungen und Pressemitteilungen bestehen.
Und die Blogger dürfen mal wieder so richtig tief ins besserwisserische Klohaus ihrer eigenen Existenz greifen und Dinge sagen wie „War doch klar, das hätte eine 17-jährige nie schreiben können!“ Das allerdings offenbart mehr über Menschenbild und Vorurteile der Schreiber als über 17-jährige – eine 17-jährige kann theoretisch über so ziemlich alles schreiben, über das auch eine (sagen wir mal) 34-jährige schreiben kann. Ausser vielleicht das Ausfüllen von Steuererklärungen. Wieso auch nicht?
Mir unterdessen wird klar, dass ich da grade den wohl selbstreferenziellsten Absatz meines Lebens geschrieben habe, weil ich grade besserwisserisch über besserwissende Besserwisser herziehe.
Für die Blogger ist es aber auch ein interessanter Lesermagnet und so ergibt sich eine positive Rückkopplung dergestalt:
Skandal zieht Leser an -> Skandal wird publik -> Publiker Skandal zieht noch mehr Leser an -> Skandal wird noch publiker
Das nutzen Blogger dann teilweise in schon abstrus anmutenden beiträgen über die (bei großen Skandalen völlig normale, siehe Zensursula) plötzliche Vervokabularisierung des Namens der Autorin, bei denen mein Linguistikstudium nur mit hängenden Kopf zu schniefen anfängt.
3. Plattgefahrene Grottenolme
Nein, kein Bild diesmal.
Das Ende der Geschichte bleibt abzuwarten. Einige erwarten eine Revolution unserer Ideen vom Urheberrehct, andere das Ende der Karriere von Helene Hegemann.
Naja – das Thema wird zum Jahresende niemanden mehr interessieren und wenn Hegemanns Karriere enden sollten, dann wegen ihres literarischen Niveaus. Wahrscheinlicher ist aber, dass „Such das Plagiat“ bei ihren Romanen eine Art Volkssport (naja, Feuilletonistensport) wird. Und das Buch selbst ist dabei unter die Räder gekommen und liegt jetzt als besagter Organhaufen auf dem Seziertisch in der schule – was bei einem Buch das beste ist, was ihm passierne kann, verkaufstechnisch gesprochen.
Wenn Helene hegemann indes marketingtechnisch so gut ist, wie es aktuell scheint, kann ihr das dann aber egal sein, weil sie mit den Millionenauflagen von Axolotl Roadkill reich genug ist, alles zu schreiben, was sie will. Wobei, das wiederum ist oft eine Voraussetzung für das Verfassen von Büchern, die tatsächlich gut sind.
Als Beispiel für die letzte These: Ich halte Die Blechtrommel für Grass‘ mit Abstand schlechtesten Roman – aber er hat den Weg freigemacht für den Rest von Grass‘ Werk. Den halte ich zwar auch nicht für gut, aber immerhin für um Längen besser als sein skandalträchtiges Debüt.
PS: Technisch gesehen sind Axolotl Tigersalamander, keine Grottenolme. Aber Grottenolme sind ihnen optisch ähnlicher und haben einen viel lustigeren Namen als Tigersalamander. Versucht mal, „Olm“ zu sagen, ohne dabei völlig bescheuert auszusehen.
PPS: Okay, das muss noch:

Mal abgesehen davon, daß eine 17-jährige vielleicht das Buch des Airen nachempfunden und Ausprüche und lange Passagen als Plagiat übernommen haben könnte: Ist es nachgewiesen, daß sie die Autorin des Plagiats ist, oder hat sich vieleicht ihr Vater ans Werk gemacht? Von ihm hat sie ja wohl STRABO geschenkt bekommen, wie ich in einem anderen Blog gelesen habe. Was ist, wenn ein geschäftstüchtiger Papi sich sagt: Wenn’s die fromme Helene schreibt, erhöht’s den Gewinn, oder gar: Wenn ich das rausbringe, kräht wie bei Airen kein Hahn, kein Verleger und kein Feuilleton danach?
Interessanter Gedanke, wobei das ja nicht Hegemanns Debütwerk ist (ihr erster Roman, aber sie hat vorher schon Drehbücher und Kurzgeschichten veröffentlicht).
Ich muss aber sagen: Mit 17 habe ich teils auch ans Plagiieren gedacht und mich von Kurzzusammenfassungen in Literaturlisten aus den 60er/70er Jahren „inspirieren“ lassen. Das war für mich völlig normal (ich habe davon allerdings nie was fertiggeschrieben, weil es letztendlich doch nicht meine Ideen waren), ich denke, Helene Hegemann wird es da ähnlich gehen.
Doch, ich glaube schon, dass Hegemann zumindest ehrlich ist. Oder, etwas weniger sympathisierend, so naiv wie sie sich gibt.
Auch wenn ich Die Blechtrommel für eins der besten Bücher aller Zeiten halte, will ich nun unbedingt einen Axolotl haben. Oder worum ging es hier? ;)